„Liebling, was hast du denn da auf deinem Tablet?!?!“ – „Äääh, nichts… Nein, nicht was du denkst!“ Ganz so klischeehaft ist unser Dialog nicht abgelaufen, aber trotzdem… etwas verwundert war Anja
schon, als ich, noch in Rio, eines Abends ziemlich unbekleidete, aber mit Eisenketten und Vorhängeschlössern gesicherte Damen und Herren auf dem Schirm hatte. Ich fühlte mich zwar nicht schuldig,
aber immerhin doch ertappt, und trotzdem: Nein, nicht, was du denkst!
Der Europäische Fernwanderweg E1 ist bestens markiert, jedenfalls auf den Strecken, die wir bisher gelaufen sind. Das Zeichen für ihn ist ein schwarzes X, genannt Andreaskreuz, und warum
Andreaskreuz? Weil der Apostel Andreas an so einem x-förmigen Kreuz den Märtyrertod gestorben sein soll, wie uns der elektronische Oberschlaumeier Wikipedia erklärt. Die gekreuzten Hölzer
verweisen im Übrigen gleich noch auf den Feueropfer-Altar, wobei wir bei Isaak wären, den sein Vater Abraham auf Befehl des alttestamentarischen und nicht besonders lieben Gottes opfern sollte,
wie man nicht nur aus der Bibel, sondern auch aus dem bekannten Lieg von Leonard Cohen weiß.
Zwei gekreuzte Linien - ein elementareres Zeichen als ein Andreaskreuz kann man sich kaum vorstellen. Insofern ist es erstaunlich, dass die Menschheit diesen Elementar-Kritzel, so eindeutig er
graphisch ist, im Laufe der Jahrhunderte immer wieder mit neuen Bedeutungen aufgeladen hat. Dass das Andreaskreuz – erstens! - auf Wanderstrecken, nicht nur auf dem E1, als Wegmarkierung benutzt
wird, verdankt es dem sauerländischen Ingenieur Robert Kolb (1869-1909), auf dessen Initiative hin schon zwei Jahre vor seinem Tod an die 6000 Kilometer deutsche Wanderwege mit dem X
gekennzeichnet worden waren. In der Chemie – zweitens! - warnt das schwarze Andreaskreuz auf orangefarbenem Grund vor gesundheitsschädlichen Stoffen. Im Union Jack –drittens! - und in der Fahne
der Südstaaten im US-Bürgerkrieg – viertens! - taucht es auf, ebenso wie auf der Flagge der russischen Marine – fünftens! - oder der bulgarischen Luftwaffe im Krieg - sechstens! Wir hätten es
wissen müssen, aber wir wussten es nicht – auch das Wappen der Stadt Rio de Janeiro ist mit einem blauen Andreaskreuz unterlegt.
Richtig bunt geht es zu, wenn das Andreaskreuz in seiner Variante als Burgunderkreuz in Erscheinung tritt. Dabei – jetzt schreiben wir Wikipedia mal ganz unverblümt ab - handelt es sich um die
mehr oder weniger stilisierte Darstellung zweier gekreuzter, nur roh zugeschnittener Äste, die vor allem das spanische Flaggen- und Fahnenwesen vergangener Jahrhunderte vielfältig und bunt
illustriert haben. Der abgedankte König Juan Carlos hat bis heute ein wie aus rohen Ästen gezimmertes Andreaskreuz im Wappen.
Unsereinem, als nicht-adeligem Nicht-Spanier, hat sich das Andreaskreuz zuerst im Leben in der Fahrschule in den Weg gestellt, und zwar dreifach: Erstens in seiner Eigenschaft als Verbotszeichen
283 der deutschen Straßenverkehrsordnung („Halteverbot auf der Fahrbahn“), zweitens als Warnzeichen 102 („Kreuzung mit Vorfahrt von rechts“) und drittens als Vorschriftszeichen 201 („dem
Schienenverkehr Vorrang gewähren“). Das letztere gehört zu den aussterbenden Arten. Denn wenn die Bimmelzüge verschwinden, wird auch das rot-weiße Andreaskreuz vor unbeschrankten Bahnübergängen
überflüssig.
Und wie kommen nun die Bilder von gefesselten Damen und angeketteten Herren auf den Bildschirm, wenn man seiner Wissbegierde freien Lauf lässt und „Andreaskreuz“ googelt? Ist das Andreaskreuz
doch nicht so kreuzbrav, wie man bisher aus dem Wikipedia-Eintrag schließen sollte? – Das letzte Absätzchen zum Thema Andreaskreuz beginnt mit dem Satz „In der BDSM-Szene wird es im Rahmen von
Bondage- und SM-Praktiken verwendet“. Und was mag das sein, die BDSM-Szene? Schnell mal draufgeklickt…ohooo! äääh… „Liebling, was hast du denn da auf deinem Tablet?“
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Monika (Sonntag, 25 März 2018 09:54)
"Wo ist nun mein Wissen gegen dieß Wirrsal,
wo sind meine Runen gegen dieß Räthsel?"