Von wegen Heldentaten! Wir beginnen diesen Blog nämlich mit einer Riesen-Feigheit. Denn der Beginn der Wanderung liegt schon sechs Tage zurück, und dass wir uns erst jetzt melden, hmmm, das liegt
daran, dass wir uns nicht so ganz sicher waren, ob wir wirklich so begnadete Wandersleut sind... 25 bis 30 Kilometer am Tag, huuuu, das ist mehr als nur ein Spaziergang - schaffen wir das
wirklich? Oder treten die hauptbeteiligten Körperpartien schon am Anfang unter Protest in Streik? Bei diesen Zweifeln wollten wir auf Nummer sicher gehen und erstmal ein paar Etappen vorlegen,
bevor wir unsere paneuropäischen Wanderpläne in alle Welt hinausposaunen.
Aber nun liegt schon Heidelberg hinter uns, und unsere Füsse passen immer noch in die Wanderstiefel. Am ersten Tag schien, wie gesagt, die Sonne so freundlich, dass wir Fleece und Anorak
ausziehen konnten. Die tapffere That des Tages bestand darin, dem Weg zu folgen. Denn der führte pfeilgerade auf die A661 zu, unter den deutschen Autobahnen diejenige, die mit 163 000 Fahrzeugen
am Tag das sechsthöchste Verkehrsaufkommen hat. Immerhin, das Dauerrauschen des Verkehrs im Wald hat den Vorteil, dass man die startenden und landenden Flugzeuge von FRA nicht so laut hört.
Dreieichenhain - auf der Landkarte sieht das aus wie ein Vorstadt-Auswuchs von Frankfurt. In der Realität ist es ein wunderbares kleines Schmuckstück deutscher Baukunst und Stadtgeschichte. Als
Kolumbus Amerika entdeckte,war eines der beiden Stadttore von Dreieichenhain schon 150 Jahre alt.
Was uns, nach all den Jahren im Ausland, auch sehr deutsch vorkam an diesemTag: Die friedlichen Kartenspieler am Nebentisch im "Waldhaus Hotz", in dem wir übernachten. Und dessen "legendäres
Paprikarahmschnitzel". Und dazu noch der vorzügliche Satz: "Unser Personal ist Ihnen gerne behilflich eine Auswahl zu treffen, die Ihrem Geschmack entspricht". Speisekarten-Prosa von stiller
Schönheit.
Eine Künstler-Avantgarde, die sich dem Fürstenhaus mit einer Ergebensheitsadresse empfiehlt - erstaunlich, dass es das noch im 20. Jahrhundert gab. Aber Darmstadt ist durch fürstliche Protektion
zur Metrolpole des Jugendstils in Deutschland geworden, deshalb der Bückling. Das Hauptgebäude auf der Mathildenhöhe ist wegen Renovierung geschlossen, wir spazieren durch die Parkanlagen und
besuchen eine Ausstellung, in der man erstaunlich wenig über ber den Jugendstil lernt. Eine weitere Ausstellung ist dem Architekten Otto Bartning gewidmet, der zwar als "Architekt einer sozialen
Moderne" vorgestellt wird, auch wenn die Exponate fast ausschliesslich aus Entwürfen für Villen, Landhäuser und Kirchen bestehen. Projekte also, an denen Architekten nur bedingt ihren Hang zum
Sozialen austoben können.
Bartning hatte als junger Mann eine Weltreise unternommen, und als er wieder zurück war, notierte er 1905 in seinem Tagebuch: "Die grosse Frucht der Reise ist, dass ich wie neugeboren von
innen heraus der alten Welt wiedergegeben bin". Vielleicht ein bisschen hochtrabend ausgedrückt, aber ganz fremd ist uns nach 28 beziehungsweise 15 Jahren in Brasilien dieser Gedanke nicht.
Diese Wanderung durch halb Europa, die soll uns schon auch unserer alten Welt wiedergeben.
Heide und Pius begleiten uns auf zwei der drei nun hügeligen Etappen durch den Odenwald; sie sind dafür extra aus Freising angereist. Wir erinnern uns an die Wochenenden vor zwölf oder
dreizehn Jahren in ihrem Häuschen in Bacaxá, zwei Stunden von Rio de Janeiro entfernt, und an die legendäre Schleiereulen-Wanderung, bei der Pius auf der Suche nach der Schleiereule im Moor von
Saquarema der Autoschlüssel aus der Hosentasche fiel... Wir übernachten in Reichenbach, südlich des Felsenmeeres, der bekanntesten Sehenswürdigkeit des Odenwalds, und zwar in einem abgelegenen
ehemaligen Naturfreundehaus. Wir sitzen am Kamin, draussen heult der Sturm. Und der zweite Wandertag mit Heide und Pius ist nicht nur kalt und windig wie der erste, sondern zusäzlich knirscht
auch noch der Schnee unter unseren Wanderstiefeln.
Wir bringen Heide und Pius in Weinheim an der Bergstrasse an den Bahnhof, dann laufen wir durch eine sonntäglich leere Vorstadt zu einem internationalen Businesshotel, das am Wochenende
Wochenendpreise hat. Das Zimmer ist behaglich, komfortabel und vor allem warm. Kein Gedanke daran, nochmal auszugehen. Stattdessen widmen wir uns einem ebenfalls sehr deutschen Vergnügen: Wir
schauen "Tatort". Ein Vergnügen, das wir in Brasilien eigentlich gar nicht vermisst haben.
Der letzte Abschnitt bis nach Heidelberg ist ein stiller Wandertag. Weiss der Schnee, grau der Himmel,. schwarz die kahlen Bäume, die einzige warme Farbe ist das Hellbraun der Schnittflächen an
den gefällten Buchen. Der Weg zieht sich in die Länge, es wird dunkler, es wird kälter - an einem Spätnachmittag im Winter verspürt man gerne mal einen Anflug der Urängste, die den Menschen in
Nordeuropa ab und zu befallen - eben vor der Dunkelheit und vor der Kälte. Aber so richtig mussten wir uns nicht fürchten, denn irgendwann waren wir in Ziegelhausen, wir stiegen den den Bus, der
keine 50 Meter von Eddas und Peters Wohnung in Heidelberg hält. Peter arbeitet gerade mal wieder als Arzt auf einem Kreuzfahrtschiff, Edda kam erst am Tag darauf aus der Karibik zurück. Wir legen
zwei Ruhetage ein, der erste mit Schneesturm, der zweite mit Sonnenschein von morgens bis abends. Nachdem wir uns im Schneesturm zum türkischen Gemuesehändler durchgekämpft haben, bereiten wir in
Eddas perfekter Küche vergnügt ein Abendessen vor. Und zum Schluss gibts zur Erinnerung noch ein Gruppenbild mit Schloss.
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Christoph Plate (Samstag, 24 März 2018 20:20)
Au, das wird fein, unter der Sonne Afrikas sitzend Eure Geschichten aus dem deutschen Herbst und dem europäischen Vorwinter zu lesen! Grüße aus Johannesburg, Christoph
Monika (Sonntag, 25 März 2018 09:57)
"Dort steht's,
was wir stemmten;
schimmernd hell
bescheint's der Tag:
zieh' nun ein,
uns zahl' den Lohn!
Hannah Aders (Montag, 26 März 2018 00:35)
Wenn ihr bis in den spanischen Süden gelaufen kommt, warte ich hier mit einer Flasche Vermout und Leche de Pantera auf Euch!
Anja (Montag, 26 März 2018 08:54)
Afrika, Wagner und Leche de Pantera- man wird fürstlich entlohnt für seine Heldentaten!
Bärbel Krauß (Dienstag, 27 März 2018 08:23)
Ich freu mich, dass Ihr gut losgekommen seid. Weiterhin Glückauf und freundliches Wetter. Bin gespannt, was Ihr aus dem Schwarzwald erzählen werdet - lernt Ihr doch meine Heimat aus einer ganz anderen Perspektive kennen ...