Wir laufen zwei Tage bei Schneetreiben und Minusgraden durch den wunderschönen Kraichgau. Dann, am 3. Tag, auf der Strecke Gochsheim - Bretten passiert es: die Wolkendecke reisst auf und der
Himmel wird schneller blau als wir es jemals beim Trinken geschafft haben. Die Sonne scheint auf die noch kahle Landschaft und die Temperaturen schnellen in die Höhe und lassen uns die obersten
Merino- und Regenschutzschichten abwerfen. Die Strecke Gochsheim-Bretten ist mit 11km ungewöhnlich kurz, doch wir beklagen uns nicht. Ein Tag in dem mittelalterlichen Städtchen ist ein Vergnügen,
zwischen diversen Cafébesuchen besichtigen wir das Geburtshaus Philipp Melanchthons (1497), dem getreuen Mitstreiter Martin Luthers.
Also wieder etwas sehr, sehr Deutsches - die Reformation. Das Geburtshaus ist natürlich nicht mehr das Geburtshaus, sondern ein Anfang des 20. Jahrhunderts erbautes, neogotische
Geburtshaus-Museum, das immerhin an der Stelle steht, an dem das Geburtshaus stand... Gegenstand der Ausstellung ist nicht nur Melanchton und seine Zeitgenossen, sondern auch das Haus. Und so
kommt es, dass der amerikanische Standortkommandant, der 1945 ein paar Monate lang in Bretten das Sagen hatte und sich im Melanchton-Haus eingerichtet hatte, in der Ausstellung ebenfalls eine
Würdigung erfährt. Vielleicht liegt das ja nur daran, weil ein Brettener Maler damals ein Ölgemälde von ihm angefertigt hat, das nun heute ausgestellt wird. Wie auch immer, die Anwesenheit des
US-Machthabers wirft die Frage nach der Abwesenheit der NS-Machthaber auf, die Bretten in den zwölf Jahren davor im Griff hatten. Und wie sie des Brettener Reformators bemächtigten - schließlich
war ja die Reformation etwas sehr Deutsches, und der deutsche Protestantismus ging nun mal sehr viel begeisterter zu den Nazis über als die Katholiken.
Überall in der Stadt trifft man auf einen kleinen, dicken und schwanzlosen Hund, in Stein gemeißelt auf dem Marktplatz oder als hippe knallgrüne Plastikfigur in der Stadtapotheke. Ein
schwanzloser Mops als Wappentier der Stadt?
Wir lernen, was es mit dem "Brettener Hundle" auf sich hat:
Erzählt wird hierzu meist, dass die Stadt Bretten einst von einem großen feindlichen Heer belagert und von allem Nachschub abschnitten wurde. Die Nahrungsvorräte wurden immer weniger, weshalb
eine Übergabe an die Belagerer schließlich ernsthaft in Erwägung gezogen werden musste. Da kam einer der Ratsherren (in manchen Versionen ist auch vom Bürgermeister selbst die Rede) auf eine
rettende Idee. Man solle doch, so schlug er vor, die letzten noch vorhandenen Proviantreste zusammentragen, damit einen kleinen Hund mästen und diesen dann, wenn er so richtig rund und fett
geworden sei, vor’s Stadttor schicken. Wenn der Feind das Tierchen sähe, müsse er annehmen, dass man innerhalb der Stadtmauern noch Lebensmittel in Fülle habe, was Erwartungen auf ein baldiges
Aushungern zunichte machen und vielleicht zu einem Ende der Belagerung führen könnte.
Gesagt, getan: die Brettener trugen ihre letzten Vorräte zusammen und der kleine Hund konnte einige Tage lang geradezu in Futter schwelgen. Rasch und für jedermann sichtbar nahm er dabei an
Gewicht und Umfang zu. Als er so richtig rund und fett war, schickte man ihn tatsächlich vor das Stadttor ins feindliche Lager hinein. Der gewünschte Effekt trat ein: als die Belagerer den
gemästeten Hund sahen, mussten sie annehmen, dass die Stadt wohl noch reichlich Vorräte habe und die Belagerung folglich noch „Ewigkeiten“ dauern könne. Folglich beschlossen sie, das Unternehmen
zu beenden und zogen unverrichteter Dinge ab. In ihrem Verdruss aber schlugen sie dem armen Hündlein seinen Schwanz ab und jagten es, solcherart verstümmelt, in die Stadt zurück. Behauptet wird
allerdings zuweilen auch, das Abhacken des Schwanzes sei deshalb erfolgt, damit das erfolglos abziehende Heer überhaupt ein Ergebnis – und sei es auch nur einen nach Hause mitgeführten
Hundeschwanz – habe vorweisen können. Dem zurückgekehrten Hündlein aber – dem Retter der Stadt – sollen die Bürger Brettens anschließend aus Dankbarkeit ein steinernes Denkmal gesetzt
haben.
Natürlich war alles ganz anders – keine einzige der verschiedenen Belagerungen, die Bretten im Laufe seiner Geschichte und dabei ganz besonders im 16. und 17. Jahrhundert erlebte, konnte durch
einen Hund abgewendet werden. Dies aber tat der Beliebtheit des „Brettener Hundle“ keinen Abbruch.
Von Bretten laufen wir dann am folgenden Tag bei weiterhin herrlichen Frühlingswetter nach Pforzheim, um von dort den Zug nach Stuttgart zu nehmen, wo wir ganz wunderbar von Wolfgangs alten
Freunden Gabriele und Dieter empfangen wurden.
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Monika (Mittwoch, 28 März 2018 09:27)
"Horch! o horch!
das ist Hunding's Horn!
Seine Meute naht
mit mächt'ger Wehr.
Kein Schwert frommt
vor der Hunde Schwall"