Von Hohlwegen und Holzwegen


Der deutsche Wald ist ja heutzutage pädagogisch so wertvoll wie nie. Vorbei die Zeiten der langatmigen botanischen oder forstwirtschaftlichen Erklärungen, die der Herr Oberforstrat persönlich verfasst und von seinen Waldarbeitern an rustikale Tafeln hat anschlagen lassen. Heute ist die Informationspolitik des ländlichen Raums aktueller,  volksnäher, stärker auf die Ökologie abzielend. Und deshalb sind wir während unserer Wanderung jäh auf eine Feld-Wald-Wiesen-Erscheinung aufmerksam geworden, auf die wir vorher noch nie einen Gedanken verschwendet haben: Den Hohlweg.

Der Hohlweg ist immer die Folge menschlichen Eingreifens in die Natur. Wenn jahrhundertelang die Ochsengespanne über die gleichen Wege fahren - dass sie das tun, darauf haben die Besitzer der Felder links und rechts der Strecke natürlich jahrhundertelang streng geachtet -, dann sinkt die Wegstrecke, relativ weiches Erdreich vorausgesetzt, im Laufe der Zeit ein. Und zwar vor allem dort, wo es bergauf beziehungsweise bergab geht, denn da verstärkt die Erosion durch Regenwasser die Spur, die der Mensch hinterlassen hat. Tatsächlich sind Hohlweg stets abschüssig. Ebene, waagrechte Hohlwege gibt es nicht.

Erosion durch menschliches Einwirken: Wir sind geneigt, das sofort als umweltschädlich anzusehen. Stimmt aber nicht. Die steilen Seitenwände der Hohlwege - wir spazierten im Kraichgau durch wahre Schluchten, die sich bis zu acht Meter in den Boden gefressen hatten - sind ökologische Nischen, in denen Wertvolles und Seltenes grünt und blüht und kreucht und fleucht, lasen wir dort. Wäre unser Hohlweg mit Erde aufgefüllt, hätte der Bauer nur mehr Platz für sein Feld, also für seine Monokultur. Am Kaiserstuhl sind durch die Flurbereinigung 80 Prozent der Hohlwege verschwunden, damit die Weinberge rationeller zu bewirtschaften sind. Zugunsten des Weintrinkers, zulasten der Fauna: "Gäbe es einen Immobilienmarkt speziell für höhlenbrütende Insekten und Vögel - die südexponierte Lösswand im Kaiserstuhl wäre so etwas wie die Schlossallee bei Monopoly", lasen wir auf einer Erklärungstafel im Kaiserstuhl. Eine Formulierung, die der Herr Oberforstrat sicher nicht zustande gebracht hätte.

Als gutwillige, aber fachlich nicht besonders beschlagene Hobby-Ökologen setzen wir instinktiv den Ur- mit dem Ideal-Zustand gleich. Aber Deutschland war im Urzustand - welchem überhaupt? - kein Garten Eden, sondern ein ziemlich grauenhaftes Stück Wildnis, voller Sümpfe, Moore, undurchdringlicher Wälder, mit riesigen, fieberverseuchten Überschwemmungsgebieten und winzigen Agrarflächen. Also ein ziemlich ungemütlicher Fleck zum Leben.

Und die sogenannte Urbarmachung war oft durch ökologische Katastrophen erkauft, wie ein US-Historiker beschreibt, dessen Namen ich leider ebenso vergessen habe wie den Titel seines Buches zum Thema (das bis nach unserer Wanderung zusammen mit dem anderen Hausrat bei einer Spedition in Frankfurt gelagert ist).

Heute ist die Oder eine geradezu paradiesische Flusslandschaft, aber der preußische Friedrich - der sogenannte große, wenn ich's recht erinnere -, der sie in ein Bett zwingen und dadurch Anbauflächen gewinnen wollte, verzweifelte schier angesichts der ökologischen Folgen, die sein Fortschrittswille nicht vorhergesehen hatte. Die Stauseen, die uns heute so harmonisch in die Täler unserer Mittelgebirge eingefügt erscheinen, waren zur Zeit ihrer Konstruktion genauso umstritten wie die Wasserkraftwerke Amazoniens heute. Menschliches Leben ist also offenbar gleichbedeutend mit Störung der Natur. Fragt sich nur, wie man den Schaden geringhält. Wie man ihn gegen den Nutzen bilanziert.

Wir beenden diese Erörterung mit einem weiteren Beispiel, das aber zugleich sozusagen eine Steilvorlage für unsere Monika ist, die bisher jeden Blog-Eintrag mit einem passenden Zitat aus einer Wagner-Oper kommentiert hat - was uns erfreut und amüsiert und was Monika hoffentlich bis zum Ende unserer Wanderung fortsetzt, gell? Also: Die Industrialisierung des Rheins, das heißt seine Umwandlung von einem Strom in eine begradigte Wasserstraße, hat im 19. Jahrhundert einen Berufsstand eliminiert, der einst nicht nur am Oberrhein, sondern sogar weit flussabwärts Tausenden Arbeit und Brot gab, nämlich dem der Goldschürfer. In den 1850er Jahren, als Richard Wagner seine Oper "Das Rheingold" schrieb, war der Rhein schon so begradigt, die Fließgeschwindigkeit so erhöht, dass sich das Schürfen nicht mehr lohnte. 


Wenn man - wir wir vorgestern zwischen Breisach und Neuf-Brisach - zuschaut, wie sich die gewaltigen Schleusentore schließen, damit der Rhein ein Schiff ein Dutzend Meter anheben kann, dann ist es eine geradezu irrwitzige Vorstelolung, dass diese Wasser-Autobahn vor zwei Jahrhunderten tatsächlich noch Gold aus den Alpen mit sich führte.   

Ein zumindest phonetisch naher Verwandter des Hohlwegs ist der Holzweg. Auf dem waren wir auf dieser Wanderung auch schon ein paarmal - also auf einem Weg, der nur zu einer Stelle im Wald führt, an der Holz eingeschlagen wird, der folglich nicht weiterführt.

In Afrika war ich mal auf so einem Holzweg: Einen ganzen Tag lang bin ich eine staubige Straße durch den Busch gefahren,  an deren Ende Pygmäen wohnten, über die ich eine Reportage schreiben wollte. Den ganzen Tag lang kamen mir Lastwagen entgegen, von denen jeder höchstens fünf, meist jedoch nur drei gewaltige Baumstämme geladen hatte, und manche Laster transportierten nur einen ab und waren dennoch voll beladen.

Den Pygmäen hat die Edelholz-Konjunktur im Busch von Kamerun natürlich nicht gut getan. Sie wurden von den Holzfällern praktisch vertrieben, tiefer hinein in den Busch.



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Kommentare: 2
  • #1

    Monika (Mittwoch, 11 April 2018 14:36)

    Frau Sonne,
    sende uns den Helden,
    der das Gold und wiedergebe!
    Ließ er es uns,
    dein lichtes Auge
    neideten dann wir nicht länger!
    Rheingold!
    Klares Gold,
    wie froh du dann strahltest,
    freier Stern der Tiefe!

    Bonus-Zeile vom Bayreuther "Ring"-Regisseur 2006 bis 2010:
    Wer lebt, stört.

  • #2

    Irene und Norbert (Freitag, 13 April 2018 17:37)

    Hallo Ihr Lieben,
    habe heute zum 1. Mal in Euren Blog geschaut. Alle Achtung - bei dem Wetter loszugehen. Das dauert hier bis der Frühling kommt. Hattet Ihr das in Rio vergessen??? Wir finden es ganz toll, was Ihr vorhabt. Wir haben Wandern immer als eine Reiz-
    reduzierung erlebt - so schnell zeigt sich, was alles überflüssig ist.
    Genießt Eure Schritte.