Wir haben jetzt den Trick raus, wie man am günstigsten nächtigt: immer das grösste, das allergrösste Zimmer nehmen! Und hoffen, dass sonst keiner kommt...So lagen wir die vergangenen Nächte
mehrfach zwischen leeren Stockbetten, ohne von Schnarchern, stinkenden Wandersocken oder feierwütigen Youngstern belästigt zu werden. Absolut guter Deal, die "Dortoirs" in den Berghotels, auf
Deutsch weniger reizvoll als Massenunterkunft übersetzt, vor allem jetzt in der Vorsaison, wo noch nicht so viele Leute unterwegs sind.
Anjas Talent, Übernachtungsmöglichkeiten zu Schnäppchenpreisen aus dem Internet zu fischen, wenn es auf das Wochenende zugeht, beschert uns dann meist Business-Hotels. Die erstaunliche Ausnahme
war das "Grand Hôtel Les Rasses", dessen Preise am Freitagnachmittag jäh fielen. Ein imposanter Kasten, der dazu verführt, ihm Thomas Manns "Zauberberg" als literarische Vorlage unterzuschieben.
Aber natürlich waren weder Clawdia Chauchat noch Hans Castorp zu Gast, das Walten der Saaltöchter entfiel, weil es natürlich heutzutage auch in Grandhotels ein Frühstücksbüffet gibt. Am
Zauberbergischsten war es noch im Spielesaal, wo ältere Herrschaften ihrem harmlosen Laster frönten... Nein, sie haben nicht das Spiel gespielt, das Thomas Mann liebevoll als Illustration
verplemperter Zeit anführt:
"Es gab hier seit kurzem eine Gruppe von Engländern, die ein Gesellschaftsspiel eingeführt hatten, welches in nichts anderem bestand, als daß ein Teilnehmer an seinen Nachbarn im Kreise die Frage
richtete: "Did you ever see the devil with a night-cap on?", der Gefragte aber zur Antwort gab: "No! I never saw the devil with a night-cap on", worauf er die Frage an ...– und so immer reihum.
Das war entsetzlich. Aber dem armen Hans Castorp war doch noch schlimmer zumute beim Anblick der Patienceleger, die überall im Hause und zu jeder Tageszeit..."
Naja. Wir spielen dieses geistreiche Spiel auch manchmal und amüsieren uns dabei wie die Engländer. In der Hotelbar ging es übrigens ganz besonders gut, da waren wir die einzigen Gäste.
Benita in Bern hatte uns vorgewarnt: Sainte Croix sei hässlich. Zwei Kilometer vom Grand Hotel aus hingelaufen - es stimmt. Eines dieser Dörfer, deren einst florierende Industrie sie zu kleinen
Städten hat anwachsen lassen und in denen heute gar nichts mehr floriert außer der Arbeitslosigkeit. Früher wurden hier Spieluhren und mechanische Orchester von der Art gebaut, wie im Foyer des
Grand Hotel noch eines steht: Für 20 Rappen scheppert es los, und dazu tanzen fünf Püppchen. Später schwenkte Sainte Croix auf Feinmechanik und Unterhaltungselektronik um. Wolfgangs Konsumtraum
von vor 40 Jahren wurde hier hergestellt - der Thorens-Plattenspieler. Und heute? Stehen die Fabrikgebäude leer, und die Leute fahren entweder weit weg zum Arbeiten.
Oder sie bleiben einfach da. Das Prekariat ist nicht gerade eine gesellschaftliche Gruppe, die einem in der Schweiz ins Auge fällt. Aber in Sainte-Croix laufen schon verdächtig viele Menschen
herum, um die der allgemeine Wohlstand offensichtlich einen Bogen gemacht hat.
Wir dachten, wir hätten den Winter endgültig hinter uns gelassen - aber riesige Schneefelder liegen plötzlich wieder vor uns. Es erwischt uns sprichwörtlich kalt. Nach den milden Tagen auf dem
Juraweg bläst uns plötzlich ein kalter Wind ins Gesicht. Gleichzeitig gehts stramm bergauf, mehrfach bis 1600m. Und so stapfen wir wir durch den tiefen Schnee, kriegen kalte und nasse Füsse und
würden uns ja gerne mit der Aussicht trösten - irgendwo in den Wolken muss der Montblanc stecken! - , aber das Wetter hat sich geändert und es ist meistens neblig. Wir sind jetzt sogar richtig
erleichtert, ein GPS-Gerät dabeizuhaben. Schnee plus Nebel auf baumlosen Hochplateaus ist dann doch nichts für uns Helden.
So geht das einige Tage, dann steigen wir ab und gehen im Städtchen La Cure über die Grenze nach Frankreich. Das dritte Land zu Fuss!
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Verena (Mittwoch, 16 Mai 2018 01:14)
Mehr davon . Ich lese und wandere im
Geiste begeistert mit Euch .
Anja (Mittwoch, 16 Mai 2018 08:36)
Das freut mich sehr, querida!
Monika (Dienstag, 29 Mai 2018 16:45)
"Was heult denn da? Wer kreischt mit Macht?
Ist das erlaubt so spät zur Nacht?
Gebt Ruhe hier! s'ist Schlafenszeit.
Mein', hört nur, wie dort der Esel schreit!
Ihr da! Seid still und schert Euch fort!
Heult, kreischt und schreit an andrem Ort!"