Im Zickzackkurs schrauben wir uns schnaufend den steinigen Bergpfad hinauf, unser Blick schweift über Geröllfelder auf schroffe Felskanten. Es dämmert bereits und der Sturn pfeift uns um die
Ohren. Kann man sich am frühen Abend noch in solchen ungastlichen Höhen herumtreiben, ohne Angst zu haben, zu erfrieren, zu verhungern, zu verdursten oder alles zusammen?
Plötzlich ein windschiefes Holzschild: "Refuge de Beyssellance, 30 min". Hörbares Aufatmen, die halbe Stunde schaffen wir auch noch. Wir kommen dann etwas ausgekühlt und ziemlich groggy, nicht 30
Minuten, aber eine Stunde später, in der Berghütte an. Beyssellance liegt auf 2651m und ist damit das höchstgelegene Refuge in den französischen Pyrenäen.
Nach dem Betreten des Steinhauses würde man sich gerne sofort in die, durch eine ansehnliche Masse an Menschen, gut gewärmte Gaststube stürzen und sich die Hände an einer dampfenden Schale Tee
oder heissem Kakao wärmen, wie es drinnen bereits alle tun. Aber, oberstes Gebot in allen Refuges: Wanderschuhe, Stöcke und am besten auch die Rucksäcke bleiben im Vorraum! In den
bereitgestellten Crocks dürfen wir dann endlich reinschlurfen und bekommen unsere Stockbettenplätze in den Schlafsälen zugewiesen. Spätestens jetzt kapiert man, warum nicht mal der Rucksack mit
reindarf- es gibt einfach keinen Platz dafür. Natürlich sind wir mal wieder zu spät und müssen nehmen, was kommt. Anja muss auf einer klappernden Blechleiter in die oberen Etagen kriechen,
Wolfgang darf zwar unten schlafen, aber in geradezu intimer Nähe zu dem Wanderer auf der Nachbar-Matratze. Automatisch springt jetzt schon der Trink-Pinkel-Warnalarm für die Nacht an, die
Toilette ist eine Etage tiefer. Geschnarcht übrigens wird in diesen Nacht nicht, und wenn, dann wird es übertönt von dem Sturmwind, der die ganze Nacht um das Refuge faucht.
In den Ferienmonaten Juli und August sind die Hütten besonders voll, mit wanderfreudigen Pärchen, ganzen Gruppen, jungen Familien mit kleinen Kindern. Man muss kein Profikletterer oder
Hardcorecamper mehr sein, um sich mehrere Tage am Stück im Hochgebirge rumtreiben zu können- die Refuges ermöglichen es jedem Normalwanderer. Berge für alle!
Das belgische Ehepaar, mit dem wir uns beim Abendessen unterhalten, beneiden wir nicht: Die beiden schlafen trotz des eisigen Windes in dieser Höhe vor der Hütte ihr Zelt auf und tauchen morgens
zähneklappernd zum Frühstück auf. Helden, má non troppo...
In den französischen Pyrenäen gibt es insgesamt 27 Refuges, viele am GR10- Wanderweg, der vom Mittelmeer zum Atlantik führt, einige aber auch in darumliegenden Gebieten, so dass unzählige
Wandermöglichkeiten entstehen.
Eine Unterkunft darf sich nur als Refuge bezeichnen, wenn sie tatsächlich isoliert liegt. Ausserdem müssen Abendessen und Frühstück angeboten werden, die Betreiber sollten mehrsprachig sein und
sich als Vermittler zwischen Bergwelt und Besucher verstehen. Während beim Franzosen die Auswahl an Fremdsprachen eher überschaubar bleibt, zeigt er uns beim Abendessen mal wieder, wofür er seit
Abermillionen Jahren im Ruf steht: Auch auf über 2000 Meter Höhe geht unter vier Gängen gar nix. Natürlich wiederholen sich die Hackfleisch-Nudel-, bzw. Hackfleisch-Reisgerichte, aber bitte immer
mit Vorsuppe, Käse und Nachspeise. Und während man sich zwar eiskalt waschen muss und sein Handy nicht aufladen kann, wählt man zum Essen selbstverständlich zwischen mehreren Sorten Wein, zum
Frühstück wird man gefragt, ob man gesalzene oder ungesalzene Butter wünscht. In der Hochsaison passen nicht alle Gäste gleichzeitig in die Gaststube? Pas de problème, da werden eben ganz lässig
zwei "services" hintereinander durchgezogen. Und alles freundlich und entspannt.
Wir fragen, wie geht sowas?
Gute Organisation und ein grosser unterirdischer Kühlraum sind das Geheimnis. Der Helikopter liefert zum Saisonanfang die Hauptladung - die Minute Hubschrauber kostet 30 Euro -, der Rest wird
irgendwie hochgeschleppt. So ganz können wir es uns immer noch nicht vorstellen, wie das gehen soll, in den Monaten Juli und August um die 60 Gäste täglich abzufüttern, zumal man ja auch
zusätzlich noch eiskaltes Bier, Cola, Kuchen usw erstehen kann. Und das alles zu zivilen Preisen, durchschnittlich 43 € kostet eine Übernachtung mit Abendessen und Frühstück.
Eine wunderbare Einrichtung, die uns viel länger als geplant in den Pyrenäen herumstreifen liess.
Und dass es kein WLan gibt, stört auch höchstens die Jüngeren. Als Wolfgang in einer Plauderei mit dem Hüttenwirt das Wort "Wifi" aussprach, stürzten sich sofort zwei hübsche Teenies dermassen
hysterisch auf ihn, dass ich schon glaubte, eingreifen zu müssen. Sie dachten, Wolfgang hätte das Passwort zum WLan-Empfang.
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Monika (Montag, 03 September 2018 18:47)
"West-wärts
schweift der Blick;
ost-wärts
streicht das Schiff.
Frisch weht der Wind
der Heimath zu: -
mein irisch Kind,
wo weilest du?
Sind's deiner Seufzer Wehen,
die mir die Segel blähen? -
Wehe! Wehe, du Wind!
Weh'! Ach wehe, mein Kind!
Irische Maid,
du wilde, minnige Maid!"
Monica (Montag, 03 September 2018 21:04)
Hi hi das sieht ja toll aus! Denke es geht euch gut..... saudade de vcs
Alex (Dienstag, 04 September 2018 17:09)
REFUGE DE BAYSSELLANCE
gitti (Mittwoch, 05 September 2018 16:10)
immer wieder eine Bereicherung eure Erzählungen zu lesen!